Interview: Tomey Tical

Der Gründer von Bayerische Portraits und dem Filigree Magazine – Tomey Tical. Heute steht er uns erstmals Rede und Antwort.

Filigree Magazine: Tomey, du hast 2014 mit der Fotografie begonnen. Was hat dich dazu inspiriert, diesen Weg einzuschlagen? Gab es einen bestimmten Auslöser oder Moment?

Tomey: Ja. Es war vor allem die schiere Langeweile. Ab ca. 2010 war ich intensiv in der Musikszene aktiv – in Produktion und Remixing. Ich hatte zwar einige Lichtblicke, etwa als ich den DJ von Lil Jon persönlich kennenlernte oder als Taku Takahashi mir die Chance gab, Mixes für seinen Radiosender in Tokyo zu gestalten. Doch Ende 2013 beziehungsweise Anfang 2014 war für mich klar, dass es in der Musik nicht mehr funkte.

Genau in diesem Moment bot mir eine Bekannte an, ihre alte Kamera zu übernehmen, da sie sich eine neue zulegen wollte – und so begann meine fotografische Reise.

Filigree Magazine: Das ist ein interessanter Wechsel – von der Musik zur Fotografie. Gab es anfangs Parallelen zwischen diesen beiden Welten für dich? Hat dein musikalischer Hintergrund deine Herangehensweise an die Fotografie beeinflusst?

Tomey: Gar nicht. Besonders am Anfang fühlte es sich an, als müsste ein Maurer von einem Tag auf den nächsten plötzlich in der Kindererziehung arbeiten. Es gab keine direkten Parallelen, die mir den Wechsel erleichtert hätten.

Allerdings hat mich die Hip-Hop-Kultur stark geprägt. Auch wenn meine Fotografie in einem anderen Kontext stattfindet, übertrage ich diese „Straßendenkweise“ – insbesondere wenn es darum geht, meine Modelle in einer dominanten, selbstbewussten Rolle zu inszenieren.

Filigree Magazine: Kannst du genauer erklären, was du mit „Straßendenkweise“ meinst? Und wie wirkt sich das konkret auf deine Arbeit mit Modellen und die Inszenierung deiner Bilder aus?

Tomey: Jedes Umfeld hat seine eigenen Regeln. Während im Arbeitsleben klare Verträge und Gesetze gelten, kennt eine bestimmte Subkultur ihre eigene Logik – die sogenannte „Straßendenkweise“. Für mich bedeutet das letztlich, mein Hauptmodel als den Boss, Macker oder King darzustellen. Alles andere ordnet sich dieser Inszenierung unter.

Filigree Magazine: Das bedeutet, dass die Bildkomposition und das gesamte Setting darauf ausgerichtet sind, dein Hauptmodel in einer fast unantastbaren Rolle zu präsentieren? Setzt du dafür bestimmte gestalterische Mittel ein?

Tomey: Um ehrlich zu sein, arbeite ich nicht mit einem festen Repertoire an Techniken. Es ist vor allem die Mentalität, die den Unterschied macht: „Das ist das Hauptmodel, sie wird heute inszeniert.“ Es ist weniger eine Frage von spezifischen Techniken als vielmehr von der Haltung, die ich mitbringe.

Filigree Magazine: Deine Bilder wirken oft sehr cineastisch. Haben Filme oder bestimmte Regisseure dich beeinflusst?

Tomey: Die cinematische Ästhetik hat sich bei mir schleichend entwickelt. Natürlich gibt es Regisseure, deren Filme ich immer wieder neu entdecke – aber ich habe nie aktiv versucht, Filmszenen technisch nachzustellen.

Filigree Magazine: Gibt es Filme oder Regisseure, deren Ästhetik du besonders bewunderst? Was fasziniert dich daran?

Tomey: Ein Essay-Video zu „Fast & Furious Tokyo Drift“ hat mir beispielsweise den perfekten Ausdruck dessen gezeigt, was ich an einem Film liebe. Daneben faszinieren mich Werke wie „The Gentlemen“ von Guy Ritchie oder „Bullet Train“ von David Leitch – bei denen einfach alles stimmt.

Filigree Magazine: Diese stilistische Überzeichnung scheint auch ein wesentlicher Bestandteil deiner Fotografie zu sein. Glaubst du, dass diese Art der Ästhetik unbewusst in deine Arbeit einfließt?

Tomey: Definitiv. Die Überzeichnung dient mir als wirkungsvolles Mittel, um das Model klar in den Mittelpunkt zu rücken.

Filigree Magazine: Du nutzt also bewusst Überzeichnung, um nicht nur das Model visuell hervorzuheben, sondern auch narrative Tiefe zu erzeugen. Gibt es ein bestimmtes Konzept, das du in deinen Fotos erzählen möchtest, oder geht es dir mehr um die visuelle Kraft der Inszenierung?

Tomey: Meine Fotografie steht unter dem Motto: „Transforming girls into princesses and goddesses since 2014“.

Natürlich ist nicht jedes Shooting in dieses Schema zu pressen – es bildet aber das Fundament meiner Bildsprache. Bei Projekten wie „Fake Love“ musste diese inszenatorische Sprache auch einmal zugunsten einer anderen Erzählweise in den Hintergrund treten.

Filigree Magazine: Erzähl uns mehr zu „Fake Love“. Wie bist du an das Thema emotionale Fotografie herangegangen, und welche Rolle spielte der Regen dabei?

Tomey: „Fake Love“ war eine Fügung des Schicksals. Ich habe mich bisher kaum mit emotionaler Fotografie beschäftigt, sondern bin eher als stiller Beobachter aufgetreten. Als ich die Mannequins im Hasenland sah, wusste ich sofort, dass ich etwas mit ihnen machen wollte – und so entstand das Konzept der emotionalen Fotografie. Kurz nachdem Aylin, ein passendes Model, zusagte, fing es an zu regnen – etwas, das im Hasenland nie vorkommt. Der Regen brachte genau das gewisse Extra, die nötige Melancholie, die den Bildern eine zusätzliche Dimension verlieh. Natürlich war es eine Herausforderung, weil man weder will, dass das Model friert, noch, dass die Kamera nass wird.

Filigree Magazine: Das Bild findet erst durch die Umstände zu seiner vollen Bedeutung. Denkst du, dass du in Zukunft öfter mit solch spontanen Elementen arbeiten wirst, oder bevorzugst du klar definierte Konzepte?

Tomey: Ich schätze die unvorhersehbaren Momente, arbeite aber grundsätzlich lieber in einem Rahmen, in dem ich hochwertige Ergebnisse garantieren kann. Es ist mir wichtig, dass alle Beteiligten ihre Zeit nicht verschwenden.

Filigree Magazine: Das klingt nach einem sehr professionellen Ansatz. Lässt du in deinen Shootings auch bewusst Raum für spontane Ideen, oder planst du jedes Detail im Voraus?

Tomey: Je besser ich ein Model kenne, desto spontaner kann ein Shooting ablaufen, da ich dann die Chemie und Dynamik besser einschätzen kann – ohne jedes Detail explizit abfragen zu müssen. Dennoch schätze ich die kontrollierte Planung, besonders bei größeren Projekten, bei denen ich auf ein eingespieltes Team setze.

Filigree Magazine: Wie gehst du bei spontanen Aufnahmen mit den entstandenen Bildern um? Bearbeitest du sie stark oder lässt du den Moment eher roh?

Tomey: Ich bearbeite sie eher minimalistisch – ich entwickle lediglich einen passenden Look, um den Vibe des Moments zu unterstreichen.

Filigree Magazine: Was denkst du über den Einfluss der künstlichen Intelligenz auf die Fotografie? Verbessert sie deiner Meinung nach das Handwerk oder nimmt sie der künstlerischen Integrität zu sehr die Einzigartigkeit?

Tomey: Das ist ein komplexes Thema. Auf der einen Seite ermöglichen mir AI-Tools wie „Maskieren und Generieren“ in Photoshop, unpassende Bildteile schnell zu korrigieren, was früher viel Zeit gekostet hätte.

Andererseits befürchte ich, dass bei zu einheitlicher Nutzung der AI-Tools letztlich nur noch die Rohdatei übrig bleibt, was die individuelle Handschrift eines Bildes verwässern könnte. Ich plädiere dafür, den menschlichen Touch in der Bildbearbeitung zu bewahren, auch wenn das in der Praxis idealistisch wirkt.

Filigree Magazine: Wird in Zukunft der Mensch in der Fotografie noch eine entscheidende Rolle spielen oder dreht sich alles um den sicheren Umgang mit den AI-Tools?

Tomey: Die Zukunft wird zeigen, wie sich das entwickelt. Persönlich wünsche ich mir, dass der menschliche Touch erhalten bleibt – auch wenn ich zugeben muss, dass dies in der schnelllebigen digitalen Welt eine durchaus idealistische Vorstellung ist.

Filigree Magazine: Blickst du mit bestimmten Erwartungen in die Zukunft oder lässt du dich einfach überraschen, was kommt?

Tomey: Ich plane bis zu einem gewissen Grad, wie zum Beispiel für das kommende Hasenland, wo ich bereits ca. vier Shootings organisiert habe. Aber ansonsten lasse ich die Dinge gerne auf mich zukommen.

Filigree Magazine: Wenn du auf deine bisherigen Projekte zurückblickst, welches Bild oder welches Shooting liegt dir besonders am Herzen?

Tomey: Da gibt es drei Projekte, die für mich besonders herausstechen.

Filigree Magazine: Welche drei Projekte sind das und was macht sie so besonders?

Tomey: Das erste ist das Wintershooting mit meiner Tätowiererin Rei – Foxbone Tattoo. Viele haben diese Bilder fälschlicherweise als „World of Warcraft“-Cosplay abgestempelt, obwohl das keineswegs meine Intention war. Ursprünglich hatte ich ein anderes Shooting geplant, doch kurzfristig sprang Rei ein – und so entstand bei eisigen Temperaturen im Hasenland ein wunderschönes Fantasy-Shooting.

Das zweite Projekt war ein Shooting mit Irina, einem Model, das kurz davor war, ihre Modelkarriere zu beenden. Die Sonnenuntergangs-Gegenlicht-Aufnahmen, die wir machten, betrachte ich bis heute als einen meiner persönlichen Zenit-Momente – gerade weil kurz danach Corona kam und viele in der Fotografie pausieren mussten.

Das dritte besondere Shooting waren die Bilder mit meinem Toyota GR 86 – genannt Lilith. Hier konnte ich den „Need for Speed“- bzw. „Fast and Furious“-Vibe perfekt einfangen: Bilder bei Nacht, durchzogen von intensiven Farblichtern, die meinen cinematischen Stil maßgeblich geprägt haben.

Filigree Magazine: Was hat dich an der Zusammenarbeit mit Rei so überzeugt? Gab es besondere Herausforderungen bei diesem spontanen Shooting?

Tomey: Es war im Grunde reines Schicksal. Ich war zunächst skeptisch, mit jemandem zu arbeiten, den ich noch nicht kannte, und dann – kurzfristig – diese Zusage zu erhalten. Ihre Begeisterung für Rüstungen und Outfits hat sofort gepasst, und der Rest ist, wie man so sagt, Geschichte.

Filigree Magazine: Und wie war es mit dem Shooting mit Irina? Was machte dieses Projekt so unvergesslich?

Tomey: Irina arbeitete auf einem Niveau, das mir zu dem Zeitpunkt völlig neu war. Ihre Professionalität ermöglichte es mir, mich voll und ganz auf die Fotografie zu konzentrieren – ohne ständig eingreifen zu müssen. Das war für mich eine wertvolle Erfahrung.

Filigree Magazine: Wie wichtig ist für dich Teamarbeit, gerade bei größeren Projekten wie den Shootings im Hasenland?

Tomey: Teamarbeit ist essenziell. Obwohl ich viele Projekte alleine umsetze, machen es die Shootings mit einem eingespielten Team – bei dem andere Fotografen, Lichttechniker und Kreative mitwirken – zu ganz besonderen Erlebnissen. Es ist schön zu sehen, dass man sich aufeinander verlassen kann und gemeinsam etwas Großartiges schafft.

Filigree Magazine: Was sind deine langfristigen Ziele in der Fotografie? Gibt es Projekte oder Richtungen, die du in Zukunft gerne verfolgen möchtest?

Tomey: Ich habe gelernt, dass man nur so weit vorausplanen kann, wie man sich selbst vorantreiben kann. Neben den bereits geplanten Shootings für das kommende Hasenland habe ich große Pläne im Bereich der Fashion-Fotografie.

Ich wünsche mir, mit dem richtigen Stamm-Model unkonventionelle, authentische Fashion-Portraits zu kreieren – etwas, das nicht in einen typischen Versandkatalog passt, sondern echte, kompromisslose Inszenierungen darstellt.

Filigree Magazine: Was inspiriert dich abgesehen von der Hip-Hop-Kultur und deinen bisherigen fotografischen Erfahrungen?

Tomey: Häufig sind es kurze Instagram-Reels oder TikTok-Videos, in denen andere Fotografen Einblicke in cinematische Shootings geben. Diese Behind-the-Scenes-Aufnahmen wecken in mir die Lust, ähnliche Konzepte mit einem eigenen Twist umzusetzen – so entstanden auch meine Ideen für das Hasenland.

Filigree Magazine: Was sind für dich die wichtigsten Elemente, die in einem cinematischen Shooting stimmen müssen?

Tomey: Die Inszenierung ist das A und O. Es gibt das Sprichwort: „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte.“ Für mich muss also von Anfang an die richtige Stimmung herrschen. Farben und andere Feinheiten können dann in der Nachbearbeitung angepasst werden – wenn nötig.

Filigree Magazine: Und welche Herausforderungen siehst du vor allem bei der Umsetzung solcher Projekte?

Tomey: Hauptsächlich ist es das Team. Gerade für meine zukünftigen Hasenland-Projekte ist es wichtig, mehr als nur ein Model zu haben. Ein zweiter oder dritter Fotograf, der mir den Rücken freihält und seine eigene Perspektive einbringt, macht einen entscheidenden Unterschied. Natürlich hängt es auch immer von den Personen ab – Vertrauen und das persönliche Kennenlernen sind hier unerlässlich.

Filigree Magazine: Zum Abschluss noch eine Frage: Was ist für dich der größte Unterschied in der Zusammenarbeit mit erfahrenen Models im Vergleich zu weniger erfahrenen?

Tomey: Mit wenig erfahrenen Models muss man behutsam arbeiten, ihnen die nötige Sicherheit geben und sich an ihr Tempo anpassen – es ist wie eine gemeinsame Wanderung, bei der es um die Erfahrung geht.

Mit erfahrenen Models fühlt es sich dagegen an wie ein Wettkampf, bei dem beide Seiten ständig an ihre Grenzen gehen, um das Beste aus sich herauszuholen. Persönlich genieße ich beide Ansätze, wobei ich – vor allem aufgrund meiner mentalen Einstellung – die energiegeladene „Kampfsport“-Variante bevorzuge.

Filigree Magazine: Was bedeutet Fotografie für dich persönlich – abseits von Technik und Aufträgen?

Tomey: Es ist meine liebste Ausdrucksweise. Durch die Fotografie kann ich Emotionen einfangen, Geschichten erzählen und Momente bewahren, die sonst vielleicht verloren gehen würden. Sie gibt mir die Möglichkeit, die Welt auf meine eigene Weise zu sehen und zu zeigen – und genau das liebe ich daran.